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Abteilung des TSV Schmiden, Mitglied des Aikikai und FABW.
Angesichts der anwachsenden Welle der Gewalt in Schulen, Medien, Alltag, mag man sich die Frage stellen, ob das Trainieren von Kampfkünsten überhaupt noch moralisch gerechtfertigt ist. Erhöht es nicht die Gewaltbereitschaft, macht es gewaltbereite Menschen nicht gefährlicher? Meiner Meinung nach ist die Antwort in beiden Fällen nein.
Aufgrund meiner Kontakte mit Kindern und Jugendlichen möchte ich kurz darstellen, wieso ich Kampfkünste als einen Faktor sehe, der eher geeignet ist, der Welle der Gewalt entgegenzuwirken, als sie zu fördern.
Es ist eine längst offensichtliche Tatsache, dass die Jugend immer öfter ohne Leitbilder, ohne klare Zukunftsperspektiven und ohne ständige Begleitung von Autoritäten aufwächst. Tatsache ist auch, dass der Zugang zu Negativ-Beispielen (sowohl in Nachrichten als auch in Computerspielen und Spielfilmen) sowie zu immer gefährlicheren Waffen leichter ist als früher. Dazu kommt der Realitätsverlust durch Konsum von elektronischem Zeitvertreib: die Grenze zwischen Spiel und Tragödie wird von Spielsüchtigen nicht immer erkannt.
Natürlich sind die Faktoren, die zu solchen Tragödien wie in Littleton, Erfurt oder Winnenden führen, sehr vielschichtig: es fängt damit an, dass Eltern immer mehr mit Arbeit beschäftigt sind und daher weniger Zeit für ihre Kinder haben; durch Mobilität und Flexibilität im Arbeitsleben - sprich: Arbeitssuche weit vom Heimatort - gehen familiäre Bindungen verloren, somit auch die früher übliche Hilfe der Großeltern bei der Erziehung; auch Schulen sind unter Sparmaßnahmen gezwungen, auf Quantität statt Qualität zu setzen. Die schwierige Lage am Arbeitsmarkt, fehlende Zukunftsperspektiven, das Gefühl der Ohnmacht - all das kann zu einem Gefühl des erfahrenen Unrechts führen, das Aggressionen hervorruft. Ob und wie diese Aggressionen aber entladen werden, hängt davon ab, welche Verhaltensmuster der junge Mensch erfährt und anzuwenden lernt. Dass die Medienindustrie dabei nicht der beste Ersatz für die abwesenden Eltern ist, bedarf kaum eines Kommentars. Und nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass der Zugang zu Schusswaffen sowie deren Benutzung relativ einfach ist.
Mir scheint, dass eben wegen dieser Vielschichtigkeit der Problematik ebenfalls ein vielschichtiges Vorgehen, eine Zusammenarbeit zwischen Gesetzgeber, Eltern, Schule, Psychologen u.v.m. nötig ist, um ein möglichst gutes Ergebnis in der Eindämmung der Gewalt zu erzielen. Einseitige Lösungen von Spezialisten, wie Verbot von Computerspielen, Änderung des Schulgesetzes so wie in Thüringen nach dem Erfurt-Massaker oder eine Verschärfung der Waffengesetze sind sicher mehr oder weniger sinnvoll, können aber allein keine Wende bringen: es sind Tropfen auf den heißen Stein. Nur viele Tropfen zusammen können das Feuer löschen.
Als Konsequenz aus dem Winnender Amoklauf wurden 39 Handlungsempfehlungen erarbeitet, die zu mehreren Themengebieten gehören:
Um Missverständnissen vorzubeugen, werden wir hier statt dieser Begriffe lieber andere benutzen, die vielleicht etwas komplizierter klingen, aber präziser und eindeutiger sind.
Unter Berücksichtigung der obigen Definition scheint klar zu sein, dass Gewaltausübung nicht a priori schlecht ist - auch Selbstverteidigung ist Gewaltausübung. Gewalt in diesem Sinne kommt auch in der Natur ständig und überall vor. Der Grund dafür ist der Schutz des eigenen Lebens oder der Nächsten - ob es eine Elefantenkuh ist, die einen Löwen vertreibt, oder ein Löwe, der eine Gazelle tötet, um sie zu essen. Die Ausübung von Gewalt ist - so gesehen - ein natürliches Mittel, das bei Konflikten verwendet wird, um die eigenen Interessen zu schützen. Konflikte wiederum sind auch eine natürliche Erscheinung, die aus gegensätzlichen Interessen verschiedener Individuen resultiert.
Aggressive Gefühle scheinen dagegen eindeutig negativ
zu sein.
Sie sind sehr häufig ein Grund für ungerechtfertigte,
brutale
und sinnlose Gewalt. Aggression kann aber auch gewaltfrei und trotzdem
verheerend sein (Verleumdung, Mobbing, Beschimpfung usw.). Aggressive
Gefühle
sind in der Natur eher selten: nachdem der Löwe weggelaufen
ist, gibt
sich die Elefantenkuh zufrieden; der satte Löwe tötet
auch nie
eine Gazelle. Nur der Mensch tötet ohne Notwendigkeit, sei es
aus
Angst, Rache, Ignoranz oder Spaß: indem er "vorsichtshalber"
Wolfsrudel
ausrottet, oder zum Spaß Löwen schießt.
Der bewußte Umgang mit Gewalt hat auch eine erzieherische Funktion. So üben wir also Kampftechniken, mit denen bestimmte Ziele - Schutz des eigenen Körpers und (wie auch immer geartete) Überwältigung des Angreifers - effektiv erreicht werden. Bei jedem ausgeführten Schlag, jedem Hebel behalten wir dabei im Sinn, was für Wirkung diese Technik auf den anderen hat: Schmerz, kurze Lähmung, Knochenbruch, Dauerschaden oder Tod. Wir verdrängen nicht dieses Wissen, sondern behalten im Bewusstsein, dass jede Handlung unsererseits jemandem Schaden zufügen kann. Und bei einem normalen Menschen reicht dieses Wissen aus, um solche Handlungen nicht ohne Grund auszuführen.
Ein weiterer Aspekt gefährlicher Übungen ist die Notwendigkeit von Disziplin und Selbstdisziplin, um Verletzungen im Training zu verhindern. Damit lernt man Selbstbeherrschung und Kontrolle über Emotionen, insbesondere über Aggression, aber auch Angst und Hass - denn starke negative Gefühle sind Störfaktoren: sie trüben den klaren Geist und beeinträchtigen rationelles Entscheiden.
Die besten Kampfkunstlehrer werden Meister genannt - um darauf hinzuweisen, dass sie nicht nur technische Fertigkeiten weitergeben, sondern auch auf die geistig-seelische und moralische Entwicklung ihrer Schüler Acht geben. Der Schüler erzielt keine technische Perfektion, ohne gleichzeitig Disziplin (auch Selbstdisziplin), Respekt (vor dem Lehrer, vor den Partnern und vor sich selbst), Verantwortung für das eigene Tun, Selbstbeherrschung und Geduld zu entwickeln.
...sind eine Grundvoraussetzung für einen reibungslosen und ungefährlichen Verlauf des Trainings.
...dem Lehrer gegenüber: wer den Lehrer nicht respektiert und seine Anweisungen missachtet oder stets in Frage stellt, hat keine Chance, etwas zu lernen.
...gegenüber dem Trainingspartner: der Lerneffekt beruht auf gegenseitiger Hilfe. Ohne Respekt gibt es aber keine Kooperation.
...für sich selbst: entwickelt sich ganz natürlich, sobald harte Arbeit zu Erfolgen führt.
...ist ebenso wie gegenseitiger Respekt eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen. Das Ziel der Kampfkünste ist es, mit möglichst geringem Aufwand eine Aggression zu beenden, nicht eine Vernichtung oder sonstige unnötige Schädigung des Angreifers. Auch hier gilt nämlich das Prinzip der Verhältnismässigkeit der Mittel.
...ist notwendig, um Kontrolle über Emotionen zu entwickeln. Ohne Geduld werden auch keine Erfolge erzielt, da die Techniken nur durch häufiges wiederholen perfektioniert werden können.
So paradox es für außenstehende klingt, so selbstverständlich ist es für die Kampfkünstler selbst: das endgültige Ziel des Kämpfers ist, niemals zu kämpfen. Und die Praxis zeigt auch: die guten Kämpfer haben eine solche Ausstrahlung von Ruhe, Respekt und Sicherheit, dass sie viel seltener angegriffen werden.
Natürlich sind nicht alle Kampfkunstlehrer Meister (im obigen Sinne). Es gibt auch unter Kampfkünstlern schwarze Schafe, Menschen, die jedem zahlenden Schüler alles beibringen, was sie selbst können. Daher ist es so wichtig, sich die Schule ganz genau anzusehen und mit den Lehrern und anderen Schülern zu reden, bevor man ihnen eigene Kinder anvertraut.
Ein wenig anders als in Kampfkünsten ist es im Kampfsport. Hier werden die Techniken so ausgeführt, dass der geübte Gegner (im Wettkampf sind die Gegner immer mehr oder weniger gut vorbereitet) keinen ernsthaften Schaden davonträgt. Daher sind die Kampftechniken, also die Gewaltanwendung, gewissen Regeln unterworfen, die potenzielle Verletzungen einschränkt. Besonders gefährliche Techniken werden erst gar nicht gelernt. Was aber zu bedenken ist: Im Wettkampf und im Training werden die Techniken gegen mehr oder weniger ebenbürtige Gegner angewandt, in einem zufälligen Konflikt mit einem nicht-Kampfsportler kann die Effektivität der eigenen, im sportlichen Wettkampf zulässigen Fertigkeiten daher gefährlich unterschätzt werden.
Ein anderer Aspekt des Kampfsports: zum Zwecke der Wettkämpfe muß man lernen, mit Menschen "ohne Grund" zu kämpfen; Menschen, mit denen man keinen richtigen Konflikt hat: man entwickelt künstlich Aggressivität, um den Gegner zu schlagen und Punkte zu sammeln. Aggression wird hier nicht als Übel angesehen, sondern als Mittel zum Zwecke des Sieges benutzt. Einerseits "verbiegt" es gewissermaßen den normalerweise friedlichen Charakter des Menschen, andererseits lernt der Kämpfer, seine Aggression zu dosieren und zu kontrollieren: er will zwar siegen, aber nicht den Gegner, der außerhalb des Rings kein Feind, ja vielleicht ein Kollege oder Freund ist, vernichten. Er entwickelt also eine Aggressivität, die ihn wirksamer macht, aber er lernt auch, diese Aggressivität zu beherrschen und zu dosieren.
Im Unterschied zu Kampfkunst wird die
seelische Komponente weniger
hervorgehoben bis vernachlässigt: In erster Linie
zählen gewonnene
Kämpfe, weil sie dem Verein messbare Vorteile bringen. Daher
kann ein Kampfsportler - egal ob Boxer, Judoka oder Karateka - bei
extremer
Vernachlässigung der geistigen Entwicklung in
Stresssituationen gewaltbereiter
werden als ein Durchschnittsmensch. Er kann auch - bei
Überbewertung
von Siegen - als Folge verlorener Wettkämpfe und der damit
verbundenen
Demütigung, seine Aggression (= Mittel zum Gewinnen des
Kampfes) in
aggressive Gefühle (Rachegelüste, Hass) umwandeln.
Dies ist aber
eine Ausnahmeerscheinung - in der Regel wird der Kampfsportler (wie der
Kampfkünstler) im Alltag ein ausgesprochen friedlicher Mensch
sein.
Wettkampfsport - Tennis, Fußball, Rugby u.v.m. - erfordert von den Spielern einerseits den vollen Einsatz, eine Art Aggressivität, andererseits hat er strenge Regeln zu befolgen, deren Übertretung bestraft wird. Solange das Spiel nur als Spiel angesehen wird, ist es eine gute Gelegenheit zum Austoben und zum kontrollierten Abreagieren von Emotionen. Im Profisport, wo ein Sieg oder eine Niederlage weitergende Auswirkungen auf das ganze Leben hat (Verträge, Prämien usw.), kommt es aber manchmal zu ausufernden Auswüchsen, die eine unkontrollierbare Welle der Gewalt selbst bei "unbeteiligten", nämlich Zuschauern, auslösen kann. Obwohl Gewalt verpönt ist und auf keinen Fall absichtlich geübt wird, kommt es im indirekten Zusammenhang mit Profi-Mannschaftssport zu Gewaltausbrüchen, wie sie in schlimmsten Hinterhof-Kampfschulen kaum denkbar sind.
Daher ist in Vereinen, in denen sich Jugendliche sportlich betätigen, sehr wichtig, welche Einstellung zum Sieg vermittelt wird. Im Spiel kann man sich austoben, Aggressionen kontrolliert ausleben, und dadurch gegen Stress und Depressionen (die eine häufige Ursache von aggressiven Gefühlen sind) resistenter werden. Wenn aus sportlicher Konkurrenz aber Feindschaft wird und der Sieg wichtiger wird als das gute Spiel selbst, so kann ein verlorenes Spiel selbst zur Ursache von Depressionen und zu einer Anstauung von Aggressionen führen. Es ist vor kurzem passiert, dass nach einem verlorenen wichtigen Spiel der Mannschaftskapitän eines regionalen Sportclubs bei einem Parkplatzstreit derart ausrastete, dass er seinen Streitgegner tödlich verletzte.
Nichtsdestotrotz kann vom Schießsport eine indirekte Gefahr ausgehen. Allein die Tatsache, dass es Waffen gibt, erhöht die Gefahr, dass sie auch zu falschen Zwecken benutzt werden. Daher ist eine extrem strenge Kontrolle der Waffenlagerung unerlässlich. Und daher ist der Besitz von funktionsfähigen Waffen durch Schießsportler ein Risikofaktor, da nicht alle Waffen in Privatbesitz so gut geschützt werden, wie es in einem Club möglich ist.
Was vielleicht aber am schlimmsten ist: Das Schießen ist ursprünglich erfunden worden, um Menschen und Tiere möglichst effektiv zu töten, ohne sich selbst zu gefährden. Wenn im Trainingsalltag der Sportler dieses Wissen verdrängt, weil er ja nur auf Zielscheiben schießt, so geht er normalerweise davon aus, dass sein Kollege vom Schützenverein die gleiche, sportliche Einstellung hat. Dass aber ein frustrierter junger Mensch, der nur von Rachegefühlen geleitet wird und ein Massaker vorbereitet, neben ihm im Schießstand üben könnte, kommt ihm normalerweise nicht in den Sinn.
Daher liegt im Schießsport, wie er heute ist, eine nicht unerhebliche Gefahr, die weiterbestehen wird, solange der ursprüngliche Sinn des Schießens verdrängt, ja gar geleugnet wird, solange die Clubs nicht auch eine erzieherische Funktion übernehmen und sich für den seelischen Zustand ihrer Mitglieder interessieren, und nicht zuletzt - solange Waffen nicht nur in den Vereinen, sondern über zehntausende von Privatwohnungen verteilt sind. Das Winnender Massaker ist mit einer legal (vom Vater des Täters) besessenen, aber unzureichend gesicherten Sportwaffe verübt worden.
Um es nochmal klarzumachen: es soll keineswegs ein Plädoyer für Einschränkungen des Schießsports sein - dies würde vor allem ehrliche Sportler treffen. Was aber wichtig scheint: bei den Sportlern ein Bewusstsein für Missbrauchsmöglichkeiten sowie Verantwortungsbewusstsein schärfen und effektivere Vorschriften erarbeiten, die den unkontrollierten Zugang zu Waffen erschweren.
Auch gewalttätige Actionfilme können (müssen nicht!) auch die Gewaltbereitschaft erhöhen. Ähnlich wie die Spiele, vermitteln sie die simple Botschaft, dass Probleme am effektivsten mit Gewalt gelöst werden, sowie dass es in den dargestellten Konflikten (die mit der Realität nicht allzu viel gemeinsam haben) immer um die Frage geht: "er oder ich".
In einer ungünstigen Konstellation von Ereignissen -
wenn Frust
und geübter Schusswaffengebrauch hinzukommen - kann dies zu
einem
Unglück führen. So war es z.B. in Erfurt, wo
gewalttätige
Spiele, Stress und Unrechtsgefühl wegen Schulrausschmiss,
Fertigkeit
im Umgang mit Waffen sowie legaler Waffenbesitz eine explosive Mischung
bildeten.
Jegliche sportliche Betätigung in Vereinen und Schulen kann ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung von Gewalttätigkeit sein. Jugendliche, die sich sportlich nicht betätigen, suchen sich stattdessen andere Freizeitbeschäftigungen. Dazu gehören leider ziemlich oft brutale PC-Ballerspiele und Spielfilme. Diese haben aber eine negative Auswirkung: sie steigern aggressive Gefühle, führen zu Realitätsverlust und erhöhen die Gewaltbereitschaft. Siehe auch im Spiegel-online: Spieler im Visier.
Kampfsport und Kampfkünste haben über die allgemeinen Vorzüge von Sport den zusätzlichen Aspekt, dass sie sich mit dem Thema Gewalt direkt befassen. Neben besonderer allgemein-erzieherischer Wirkung lehren sie den bewussten und kontrollierten Umgang mit Gewalt und Aggression.
Durch den Verzicht auf Angriffstechniken und die Hervorhebung
von Harmonie
nimmt Aikido eine besondere Stellung unter den Kampfkünsten
ein: es
ist besonders gut geeignet für friedliebende Menschen,
andererseits sind Rowdys, die schnell etwas effektives für den
Straßenkampf
dazulernen wollen, hier fehl am Platz: mit ihrer aggressiven und
ungeduldigen
Einstellung haben sie keine Chance, die relativ schwierigen
Aikido-Techniken
effektiv zu lernen.