Prinzipien
Der Name Aikido kann in etwa übersetzt werden als "der
Weg (DO)
zur Harmonie (AI) mit der Lebenskraft (KI)", wobei alle drei
Bestandteile
des Namens, wie in östlichen Sprachen häufig, eine
vielschichtige
Bedeutung haben.
Diese Kampfkunst ist nicht nur eine Sammlung von Kampftechniken. Noch
mehr als andere, kann sie nicht ohne die Ideen, die Philosophie
verstanden werden.
Und diese Prinzipien eignen sich nicht nur zum Ausüben von
Kampftechniken - sie können auch auf andere Lebensbereiche
angewandt werden, überall, wo bei einem Miteinander auch Konflikte
entstehen und gelöst werden müssen.
Die Prinzipien im einzelnen
Harmonie (Ai)
Ai kann auch als Liebe übersetzt werden. Nachdem der
Begründer Ueshiba
die Gräuel des 2. Weltkriegs miterlebte, war eine Vereinigung
aller
Menschen und Kulturen in Liebe das wichtigste Ziel seiner Kampfkunst.
In Aikido spricht man nie vom Gegner, sondern vom Partner.
Die Liebe zu
anderen Menschen (auch zum Angreifer) schützt uns vor
Rachegedanken -
im Kampf denkt der Aikidoka auch an den Schutz des Angreifers. Der
Angreifer wird nicht als Feind gesehen, den es zu zerstören gilt,
sondern als ein irrender, dem wir wieder auf den richtigen Weg zu
finden helfen.
Das Aikido-Training findet daher auch in einer entspannten
Atmosphäre statt, frei von Aggressivität und unnötiger
Konkurrenz.
Lebenskraft (Ki)
Auch als Chi (chin.), Mana oder Prana bekannt. Es symbolisiert den
Fluss der Energie in allem Lebenden, in natürlichen Prozessen.
Ziel des
Aikido ist, den durch Aggression gestörten Fluss des Ki wieder zum
Gleichgewicht zu bringen.
Ki ist stark mit dem Atem verknüpft. Atemübungen sind daher
wichtiger Bestadteil des Trainings.
Ki ist ein häufiger Anlass für Missverständnisse. Es
handelt sich dabei
nicht um eine geheimnisvolle Zauberkraft. Der Aikidoka lernt, die in
ihm und um ihn herum präsente Lebenskraft zu spüren und zu
bündeln,
ähnlich wie eine
Linse Sonnenlicht bündeln kann, um ein Feuer zu entfachen.
Der Weg (Do)
In dem Kontext geht es hier um den Lebensweg. In Asien wird das Leben
als nichts statisches verstanden, als ein Zustand, der mit Geburt
beginnt und mit dem Tod plötzlich endet, sondern als ein langer
Prozess, vergleichbar mit einer langen Wanderung, mit einem Hinarbeiten
auf ein Ziel, wobei die Erreichung des Endziels nebensächlich ist:
Der Weg ist das Ziel.
Es gibt viele Wege - außer den Wegen der Kampfkünste
(Karate-do, Judo,
Kendo, Iaido u.v.m.) kann der Mensch sich auch durch Poesie
(Haiku),
Blumenstecken (Ikebana) oder die Teezeremonie (Cha-Do) entwickeln und
seinem Ideal
nähern.
Was allen Wegen gemeinsam ist: es geht dabei nicht um die Vermittlung
von technischen Fertigkeiten, sondern um die Entwicklung des Menschen
als Ganzes - seines Geistes, seiner Seele, seines Charakters. Das Ziel
ist die Erkenntnis des eigenen Wesens bzw. des Wesens der Welt, was
nach östlicher Philosophie aufs Gleiche hinausläuft.
Eine Konsequenz davon ist, dass im Aikido der Vergleich mit anderen
Aikidokas weniger wichtig ist als die eigene Entwicklung. Ich will
nicht besser sein als du - ich will besser sein als ich von gestern.
Deswegen haben wir auch kein Bedürfnis nach Wettkämpfen (s.u.)
Reine Verteidigung
Die Techniken sind rein defensiv. Es ist nicht möglich, jemanden
mit Aikido anzugreifen. Die Abwehr ist immer eine Reaktion auf einen
Angriff und nutzt dessen Bewegung und Kraft zu eigenen Zwecken.
Dies hat sehr weitreichende Konsequenzen. Zum einen, man muss im
Falle eines Kampfes die natürliche Hemmung, jemandem wehzutun,
nicht überwinden. Es entfallen moralische Bedenken, die im
Ernstfall lebenswichtige Sekunden kosten können. Aus ebendiesem
Grund kommt es häufig vor, dass v.a. Frauen sich im Notfall nicht
verteidigen, selbst wenn sie einen Selbstverteidigungskurs absolviert
haben und es rein technisch tun könnten. Die andere
Möglichkeit ist, dass man in Folge jahrelangen Trainings lernt,
die Bedenken abzuschalten und reflexartig effektiv reagiert - mit der
Gefahr, es später zu bereuen, jemanden verletzt zu haben, wo es
auch andere Möglichkeiten einer Konfliktlösung gab.
Eine ganz andere Konsequenz ist: es gibt im Aikido keine
Wettkämpfe. Da unser Ziel die Beseitigung von Aggression und
Wiederherstellung des Friedens ist, wäre eine künstliche
Feindschaft, wie sie im Wettkampf erschaffen wird, ein Widerspruch zum
Wesen des Aikido.
Frieden statt Sieg
Das Ziel ist kein Sieg über einen Gegner, sondern Frieden im
weitesten Sinne: die Überzeugung des Angreifers, dass er mit
Aggression kein Ziel erreicht. Sein Angriff wird neutralisiert, er hat
die Chance, ohne Verletzung und ohne Gesichtsverlust aufzugeben. Der
Konflikt wird deeskaliert und kann somit im Einvernehmen gelöst
werden.
Technisch geschieht das, indem die Techniken nicht zur Verletzung,
sondern zur Kontrolle des Angreifers angewandt werden. So sind
z.B. Hebel u.U. sehr schmerzhaft und können Gliedmaßen
dauerhaft schädigen. In Aikido werden aber Hebel nur zum
Festhalten oder Steuern der Bewegung benutzt. Sobald man loslässt,
lässt der Schmerz nach und der - unverletzte, aber erschrockene -
Angreifer hat die Möglichkeit zu erkennen, dass weitere
Angriffe nichts bringen, sondern nur für ihn selbst gefährlich
sein können.
Gleichgewicht
Ein zentraler Begriff, sowohl wörtlich als auch im
übertragenen Sinne. Das Halten des Gleichgewichts bei jeder
Bewegung sowie das Stören des Gleichgewichts des Angreifers sind
immanente Bestandteile aller Techniken.
Angestrebt wird ebenfalls ein geistiges Gleichgewicht, im Sinne von
innerer Ruhe. Indem man keine für den Angreifer gefährlichen
oder gar tödlichen Techniken anwendet, entfallen ethische
Bedenken. Das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten eines
effektiven Schutzes befreit von Angst und schützt vor
Panikreaktionen.
Die Idee der Harmonie steht auch im Zusammenhang mit Gleichgewicht: nur
im dynamischem Gleichgewicht der Kräfte, der verschiedenen
Strömungen, Ideen und Kulturen ist ein harmonisches Miteinander
möglich.
Nachgeben statt überwältigen
Auf Kraft wird nicht mit entgegengesetzter Kraft reagiert (damit diese
Methode wirkt, muss man immer mit größerer Kraft
reagieren können), sondern mit Nachgeben: am Anfang jeder Technik
steht eine Ausweichbewegung. Die Wucht des Angriffs läuft ins
Leere und verursacht keinen Schaden. Diese Bewegung wird
zusätzlich verstärkt und umgelenkt, was dazu führt, dass
der Angreifer sein
Gleichgewicht verliert.
Eine wichtige Konsequenz daraus ist, dass man keine
außerordentlichen Kräfte braucht, um Aikido wirksam
auszuüben. Und so ist es auch die Kampfkunst mit dem
größten Anteil an älteren Menschen, Frauen, Kindern und
Behinderten.
Einklang mit der Natur
Anstatt außergewöhnliche Kräfte, Schnelligkeit und
akrobatische Fähigkeiten zu entwickeln, konzentriert sich der
Aikidoka darauf, die Möglichkeiten seines Körpers und der
Situation optimal einzusetzen. Geschicktes Ausnutzen von Naturgesetzen
ist effektiver als der Versuch, Gewalt mit noch größerer
Gewalt zu bekämpfen.
Auch dies ist ein Grund, weshalb schwacher Körperbau, Kleinwuchs,
Übergewicht und sogar manche Behinderungen jemanden nicht vom
Aikido abhalten müssen.
In der Technik äußert sich dieses Prinzip darin, dass die
Bewegungen einerseits optimal das Gleichgewicht des Angreifers
stören, andererseits den eigenen Körper unterstützen und
schützen. Auf eine gute Haltung (Rücken, Kniegelenke) wird
immer geachtet.
Die Naturverbundenheit könnte auch erklären, warum einige von
den großen Meistern sich mit traditionellem und biologischem
Land- und Gartenbau beschäftigen und weshalb der Anteil der
Vegetarier unter den Aikidokas überproportional hoch ist.